Vom Sein der Naturgesetze – Eine Rücklesung der Notizen von 2007 aus dem Jahr 2025
I. Aus den Notizen von 2007
Im Sommer 2007 schrieb ich eine kleine Artikelreihe unter dem Titel Existieren physikalische Größen in den physikalischen Gesetzen?
Die Frage war bewusst paradox formuliert. Sie behandelte „Gesetze“, also Aussagen oder Relationen, so, als ob sie Dinge wären, die physikalische Eigenschaften besitzen. Logisch betrachtet mag dies wie ein Kategorienfehler erscheinen, doch in Wahrheit suchte ich nach dem ontologischen Status der Naturgesetze selbst.
Wo „befindet“ sich das Gesetz der Massenerhaltung?
Wo „existiert“ das Gesetz der Energieerhaltung in der Welt?
Wenn solche Gesetze nicht physisch real sind, dann beschreibt die Physik die Welt mithilfe von etwas, das in physischem Sinn gar nicht existiert. Dieses Paradox führte mich zu Henri Poincarés Konventionalismus: der Ansicht, dass Naturgesetze nicht in der Natur selbst zu finden sind, sondern Erzeugnisse der menschlichen Erkenntnis, also das Artifizielle, durch das wir unsere Erfahrung ordnen.
Damals verstand ich die Naturwissenschaft insgesamt als ein Anpassungsinstrument der Spezies Homo sapiens.
Nachdem der menschliche Körper seine biologische Evolution weitgehend abgeschlossen hatte, begann der Mensch, sich nicht mehr über körperliche Veränderungen, sondern über die Transformation seiner symbolischen und begrifflichen Systeme an die Umwelt anzupassen. Auch die Wissenschaft war ein solches evolutives Artefakt.
Der Übergang vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild oder von der Newtonschen Mechanik zur Relativitäts- und Quantentheorie ließ sich daher als ein Prozess konzeptueller Evolution deuten, nicht als Marsch auf eine endgültige Wahrheit hin. Jede Theorie war keine optimale, sondern nur eine von vielen zulässigen Lösungen (feasible solutions) innerhalb der Schnittstelle zwischen menschlicher Kognition und Welt.
Wenn ich also fragte, ob physikalische Gesetze „existieren“, dann wollte ich keinen erkenntnistheoretischen Relativismus formulieren, sondern die biologischen Grenzen des Erkennens ausleuchten. Naturgesetze sind keine materiellen Objekte, doch sie besitzen eine eigentümliche Realität, weil das menschliche Gehirn als biologisches Organ gerade dazu evolviert ist, die Welt in solchen gesetzesartigen Strukturen zu modellieren.
Mit anderen Worten: Gesetze existieren nicht innerhalb der Natur, sondern innerhalb der Weise, wie wir Natur konstruieren. – Das war der Horizont, den ich 2007 erreichte.
II. Selbstkommentar aus dem Jahr 2025
Achtzehn Jahre später lese ich diese Notizen mit einer Mischung aus Scham und Staunen. Ich erkenne sowohl ihre Unreife als auch eine gewisse prophetische Intuition.
2007 fehlte mir noch das begriffliche Vokabular, um auszudrücken, was ich ahnte; rückblickend lässt sich meine Argumentation jedoch als ein Vorgriff auf das begreifen, was man heute strukturellen Realismus oder informationellen Realismus nennt.
Heute würde ich sagen: Naturgesetze sind keine physischen Entitäten, sondern relationale Muster, die die rekursive Struktur der Welt aufrechterhalten. Sie sind nicht Materie, sondern die Form, in der materielle Prozesse ihre Kohärenz bewahren.
Das „Sein der Gesetze“ bezeichnet somit nicht die Existenz von Dingen, sondern die Beständigkeit von Relationen – etwas, das Heisenbergs Begriff der Form sehr nahekommt.
Was ich damals das Artifizielle nannte, lässt sich heute als Sprache als Interface verstehen. Durch Sprache konstruieren wir unsere Welt und schreiben in sie die Formen ein, die wir Gesetze nennen.
Sprache wirkt wie eine evolutionäre Membran zwischen Geist und Welt; die physikalischen Gesetze erscheinen als stabile Wellen oder Faltungen auf dieser Membran.
Aus dieser Perspektive war meine damalige Frage – Hat es Sinn, nach der Physikalität der physikalischen Gesetze zu fragen? – in Wahrheit ein früher Versuch, die physische und informationelle Grundlage des Erkennens selbst zu erforschen.
Gesetze liegen weder außerhalb der Natur noch bloß im Geist; vielmehr ist die Ordnung der Natur in unsere symbolische Tätigkeit als Lebewesen eingefaltet.
Diese verborgene Topologie zu entfalten – sichtbar zu machen, wie unsere Sprache die Struktur der Welt spiegelt – bleibt auch heute die gemeinsame Aufgabe von Philosophie und Wissenschaft.


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